FLORESCENCE IN DECAY

Premiere – 23. – 25. März 2023 im Grand Théâtre Luxembourg

Am Anfang waren wir alle ein und dasselbe Lebewesen, das denselben Körper und dieselbe Erfahrung teilte. Und seither hat sich nicht viel geändert. Neue Formen und neue Existenzweisen haben sich ausgebreitet. Aber auch heute noch sind wir alle ein und dasselbe Leben.  

Emanuele Coccia, METAMORPHOSEN –


Veränderung ist überall, Metamorphosen gibt es in Hülle und Fülle: eine Raupe verwandelt sich in einen Schmetterling, eine Eichel wird zu einer Eiche, aus dem Ei schlüpft ein Vogel; das Meer wird zu einer Wolke, um sich dann wieder abzuregnen und einen Bach zu bilden; ein Felsen wird zum Geröll, das Geröll wird zu Sand; Holz verbrennt zu Asche, und aus der Asche wiederum sprießen Blumen. Die Natur ist Veränderung, und wir sind ein Teil davon.
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Elisabeth Schillings neues Gruppenstück “Florescence in Decay” für neun Tänzerinnen und Tänzer greift auf Bilder wie diese zurück in einer körperlichen Meditation über Kontinuität, Wiederholung und Veränderung. Das Stück beschäftigt sich mit verschiedenen Zeitebenen innerhalb und jenseits der menschlichen Erfahrung und erforscht, durch Ideen von Metamorphose und Zyklus, die Rhythmen einer Welt, die unserer eigenen gleicht: Werden und Vergehen, Wachstum und Reifung, Vergänglichkeit und Erneuerung.
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Inspiriert von den Strukturen und Texturen lebender und nicht-lebender Formen, zieht “Florescence in Decay” Steine, Algen, Korallen, Flechten, Pilze und andere Gestalten in einen Strudel des Entstehens hinein und ermöglicht so einen fortwährenden Prozess der kreativen Evolution. Mit der Musik von Anna Merediths ANNO (aufgeführt vom Orchestre de Chambre de Luxembourg und Anna Meredith selbst), die Abschnitte aus Vivaldis Vier Jahreszeiten mit Merediths elektronischen Kompositionen und anderen Partnerstücken verbindet, verwebt Florescence in Decay die Empfindsamkeiten von Tanz und zeitgenössischer Musik, um klangliche und dynamische Texturen und ihre komplexen Wandlungsmuster zu untersuchen. In einer Umgebung des wechselseitigen Eintauchens nehmen die Tänzer ihre Beziehungen wahr, bilden und lösen sie unaufhörlich und erschaffen dabei temporäre Gemeinschaften. Alles ist potenziell miteinander verbunden, jede Handlung hat Konsequenzen. Selbst wenn schillernde Individuen auftauchen und sich frei bewegen, sind sie nie völlig von ihrer Umgebung getrennt – sie können sich mit anderen verbünden, und wenn sie vergehen, werden sie wieder in den pulsierenden Körper des gesamten Lebens aufgenommen.
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Wenn unsere Welt also eine Welt voller verschlungener Entwicklungen und Empfindungen ist, so brauchen wir alle unsere Sinne, um ihr einen Sinn zu geben – wir brauchen, in den Worten der Anthropologin Anna Tsing, neue Künste des Wahrnehmens. Florescence in Decay würdigt diese Kunst des Wahrnehmens und lädt das Publikum in eine Welt ein, welche einen veränderten Blick auf die Widrigkeiten des Wandels ermöglicht und uns erlaubt, sowohl um die Gewalt des Wandels zu trauern als auch seine Kräfte der Erneuerung zu feiern.